Netzwerken

Netzwerken, sozial?

Bereits im Frühjahr 2022 begann eine Diskussion um das Dasein sozialer Netzwerke und deren Kontrolle, als Elon Musk sich in den Kopf setzte Twitter zu kaufen. Dieser Beitrag soll sich allerdings darum bemühen, Vor.- und Nachteile der dadurch in den Fokus geratenen Netzwerke (Twitter [heute X], Bluesky und das Fediverse in Gestalt von Mastodon) zu vergleichen. Schon die Art der Nutzung eines solchen Netzwerks macht einen Vergleich schwierig, die Anforderungen an Reichweite, Datenschutz oder Vernetzungsmöglichkeiten sind aber abstraktionsfähig. Daher werde ich mich auf den technischen Aspekt beschränken.

Der Platzhirsch in diesem Trio ist natürlich noch immer Twitter, dass Anfang 2022 ca. 7,75 Millionen Menschen in Deutschland erreichte. Die Ankündigung der Übernahme durch Elon Musk, wenngleich sie zunächst als schlechter Scherz galt, führte bereits zu einer Welle von Nutzern die sich auch bei anderen Anbietern umzuschauen begannen. Mit Zahlen halten sich Firmen gerne bedeckt, eine Idee bekommt man aber durch das freie Netzwerk Fediverse, welches nicht nur allgemeine Nutzerzahlen abrufbar macht, sondern auch tatsächliche Nutzerstatistiken. Diese sind aber durch den dezentralen Aufbau des Netzwerks schwierig zu erfassen – wer möchte schon weit mehr als 15.000 Instanzen abfragen und eine Einteilung nach genutzter Sprache ist nicht möglich (dort werden auch mit deutscher IP-Adresse gern weitere Sprachen genutzt). Einen Überblick zeigt beispielsweise instances.social, mit aktuell 922.000 Nutzern. Der noch immer nur durch Einladung erreichbare Dienst Bluesky hat gerade durch einen Entwickler eine Zahl von 7900 deutschsprachigen Nutzern gemeldet.

Antennenmast

Die Nutzerzahlen zeigen aber ein verzerrtes Bild, wenn man die Reichweite eines einzelnen Nutzers eines bestimmten Netzwerks bewerten möchte. Das wäre aber einen eigenen Beitrag wert und würde hier zu weit führen. Das deutsche Behörden und öffentlich rechtlicher Rundfunk sich von Twitter verabschiedet haben und nur mehr auf Mastodon erreichbar sind, zeigt aber eine Richtung. Um Deine eigene Reichweite zu berechnen ist also zuerst einmal relevant wen Du überhaupt erreichen möchtest.

Kommen wir also zu den anwendungsspezifischen Eigenheiten der Netzwerke und gehen als Grundlage von Twitter aus, da ja Viele in diesem Szenario von Twitter weg wechseln möchten, dass sich durch die ständigen Änderungen durch den neuen Besitzer zu einer Realsatire entwickelt hat. In den ersten beiden Wellen (Frühjahr und Herbst 2022) habe ich mit Vielen ihre Gründe diskutiert, wenn sie sich dann doch nicht im neuen Netz heimisch fühlten. Welch Überraschung, dass die heute allesamt auf Bluesky zu finden sind und dort keine einzige dieser Begründung zu zählen scheint. Gefühlte Gründe kann ich weder bewerten noch gewichten. Das ist eine individuelle Entscheidung, die keinem Test standhalten kann.

Bluesky

Der ehemalige Twitter CEO Jack Dorsey hat Bluesky 2019 noch in dieser Funktion begonnen zu entwickeln und sitzt heute im Verwaltungsrat der Firma, die er kurz vor der Übergabe von Twitter an Elon Musk (im August 2022) ausgründete. Als CEO der Firma wurde Jay Graber eingesetzt, die zuvor als Entwicklerin im Bereich Blockchain tätig war und nach eigener Aussage nie für Twitter gearbeitet, sich aber bereits Monate mit einer eigenen Bluesky Instanz beschäftigt hat.

Als Studie um Twitter zu verbessern begonnen, wurde so ein Startup und ein neues Netzwerk aus dem Twitter Ableger, was natürlich Einfluss auf die weitere Entwicklung hatte. Die ersten Überlegungen Dorseys, Twitter dem Fediverse mit der Implementierung des ActivityPub Protokolls zu öffnen, wurde verworfen und man startete die Entwicklung des AT Protokolls, das heute Grundlage von Bluesky ist, sich aber bis auf die Verwaltung der Benutzeranmeldungen sehr nahe am ActivityPub Protokoll orientiert.

Aus der Sicht der Bluesky Entwickler (und Jack Dorseys) ist also die Föderation der große Vorteil, den man der Funktionalität des ursprünglichen Twitter hinzufügen möchte, wobei man den angeblichen Nachteil der dezentralen Benutzerverwaltung des ActivityPub getriebenen Fediverse (z.B. Mastodon) vermeiden möchte. Jeder Nutzer könne so Herr über die eigenen Beiträge bleiben und selbst bei einem Umzug auf eine andere Instanz würde sich die eigene Adresse bzw. die dahinter stehende interne ID nicht ändern. Eine Halbwahrheit..

Zwar ändert sich die ID tatsächlich nicht – auch wenn bislang gar keine anderen Instanzen im produktiven Netz zugelassen werden – allerdings ist Bluesky so auch alleiniger Torwächter für das gesamte Netzwerk und kann jeden Nutzer und jede Instanz mit einem Mausklick vom Netz trennen. Man kann jetzt andere Leute Server betreiben lassen ohne die Kontrolle abgeben zu müssen. In erster Linie spart das mal Ressourcen für das Hosting und wenn man das auf die Spitze treiben möchte, müsste Bluesky gar keine eigene Instanz mehr betreiben und würde doch die Kontrolle behalten. Das ist der Vorteil gegenüber Twitter, der allerdings zu Lasten der Nutzer erreicht wird, denen das im Vergleich mit dem Fediverse nur Nachteile bringt. Wenn Dir das Netz nicht gehört, wie könnten es dann die darin veröffentlichten Beiträge?

Die LGBTQ Community feiert hingegen den Save-Space den Bluesky angeblich liefert. Das ist eine trügerische Fehleinschätzung die dem Betabetrieb geschuldet ist, an dem nur teilnehmen kann wer eine Einladung erhält. Auch ich gebe meine Invite-Codes (man bekommt einen alle 10 Tage) and die Community weiter, aber die ersten Rechtsnationalen TERFs sind bereits gesichtet worden und auch wenn man die zu Beginn mit Blocking durch Mund zu Mund Propaganda in Schach halten kann, bekommen doch auch die ihre Invite-Codes und holen ihre Mutuals nach. Bleiben nur noch Datenschutz.- und Sicherheitsoptionen der Anwendung selbst. Bluesky bietet auch nach zwei Jahren Entwicklung weder Direktnachrichten noch die Einschränkung der Sichtbarkeit von Beiträgen oder geschützte Konten. Grundlagen die selbst der für diese marginalisierte Gruppe sehr toxische Vorgänger bietet.

Bleibt nur noch die Abstinenz eines nicht abschaltbaren Algorithmus, der die Timeline organisiert, den Bluesky aber mit Mastodon gemein hat. Persönlich finde ich eine Funktion sehr sexy, die aber bisher niemand als Grund angegeben hat. Man kann eigene Module schreiben um eine Timeline zu organisieren, sie auf eigenen Servern als HTTP Dienst bereitstellen und dann in Bluesky annoncieren und so bereitstellen – ein selbst programmierter Algorithmus, den dann auch andere nutzen können. Da die Wenigsten in der Lage sein werden selbst so einen Dienst zu programmieren oder bereitzustellen, ist das dann aber eine Frage des Vertrauens, da alle Beiträge der eigenen Timeline an diese Dienste geschickt werden. Mir ist schleierhaft wie das DSGVO konform funktionieren sollte, da das ja nicht nur eigene Beiträge betrifft, sondern alle Beiträge der Profile denen man folgt und die diese weiterleiten.

Die App ist auch nach zweijähriger Entwicklung noch außerordentlich rudimentär. Selbst die Aktualisierung der Timeline benötigt oft noch eine eigene Schaltfläche und springt anschließend zum neuesten Beitrag. Den Überblick zu behalten, was bereits gelesen wurde ist so anstrengend und das Übersehen von neuen Beiträgen vorprogrammiert. Hilfsmittel wie Listen oder Gruppen kennt die App nicht, selbst Webstandards für Medien sind nicht oder kaputt implementiert. So ist es nicht möglich Videoschnipsel zu teilen und Gif-Images werden falsch dargestellt, von animierten Gifs gar nicht zu reden.

Mastodon

Eigentlich sollte ich hier nicht die Anwendung Mastodon als Vergleichsobjekt wählen, geht es doch um Netzwerke und da wäre der Kandidat das Fediverse mit vielen unterschiedlichen Anwendungen, die recht unterschiedliche Möglichkeiten der Teilnahme bieten. Allerdings fehlt mir die Zeit und auch die Motivation die allesamt auszuprobieren. Du kannst die Prämisse das es die gibt und sie alle untereinander Erreichbar sind aber im Kopf behalten, denn der Wechsel zu einer anderen Anwendung ist für Nutzer immer eine Option um andere oder weitere Funktionalitäten zu bekommen ohne die alten Kontakte (Follower) zu verlieren. Du möchtest Themen gerne in Gruppen sortiert wissen: Friendica, dass oft als Facebook Alternative genannt wird, kann das. Du machst gerne Umfragen und hättest gern mehr Antwortmöglichkeiten: Pleroma kann bis zu 10 Antworten bereitstellen. Es gibt für jede denkbare Funktionalität eine Anwendung im Fediverse und es ist zu kurz gesprungen diese mit einem anderen Anbieter (Twitter, Facebook, Instagram, YouTube, usw.) gleichzusetzen.

Mastodon ist lediglich die Anwenderstärkste Anwendung im Fediverse, Du kannst aber aus allen Anwendungen auch Mastodon Nutzer erreichen. Das sollte also keine Rolle bei der Auswahl der Anwendung spielen. Da Mastodon stetig weiterentwickelt wird, ist es eine gute Idee die Anwendung im Browser zu nutzen (WebApp) um alle Funktionen nach einem Update sofort nutzen zu können. Für die mobile Nutzung steht auch eine Progressive Web App (PWA) zum Download von jeder Instanz bereit, die sich wie eine aus dem jeweiligen App-Store installierte Anwendung verhält.

Du kannst für jeden Beitrag die Sichtbarkeit einstellen (bei Auswahl nur eines Adressaten und Einstellung der Sichtbarkeit auf nur erwähnte Profile, ist das dann wie eine Direktnachricht). Je nach gewählter Instanz kann es zusätzliche Funktionalitäten wie eine Übersetzungsfunktion geben und die Wahl der Instanz kann auch bereits einen Schwerpunkt eines Themengebietes beinhalten, da jede Instanz eine zusätzliche Timeline bietet, die ausschließlich Nachrichten der eigenen Nutzer listet. Wenn Dir die Darstellung nicht gefällt gibt es eine Vielzahl von Apps, die die API von Mastodon (oder anderen Anwendungen des Fediverse) unterstützen und so als Ersatz für die WebApp oder die sehr rudimentäre Orfiginal-App der Mastodon Entwickler dienen können und eine vollständig andere Darstellung bieten.

Elk.zone Desktop Screenshot
Elk.zone Desktop Screenshot

Als besonderes Beispiel sei hier die WebApp von Elk.zone angeführt, das eine Darstellung bietet, die Twitter nachbildet und sehr umfangreich angepasst werden kann. Im Bild oben habe ich als Beispiel (ohne Anmeldung) Elk die lokale Timeline meiner eigenen Instanz anzeigen lassen. Mit eigener Anmeldung und dann angepasster Einstellungen auf dem Smartphone, habe ich natürlich auch ein Beispiel – in diesem Fall habe ich die Ansicht meines Profils gewählt.

Elk.zone Screenshot
Elk.zone Screenshot

Die letzte und nach meiner Einschätzung wichtigste Funktion ist aber, dass sich eine Gemeinschaft selbst eine Instanz installieren und so über die dort geltenden Regeln bestimmen sowie moderieren kann. Sie kann festlegen wer beitreten kann und ein eigenes Einladungssystem auf Nutzerbasis etablieren sowie bestimmen mit welchen anderen Instanzen föderiert bzw. welche geblockt oder stummgeschaltet werden sollen. Ein unschlagbarer Vorteil für marginalisierte Gruppen aber auch sehr nützlich für eingeschworene Gemeinschaften oder Gruppen die gemeinsam wechseln wollen.

Für zwei mir von Twitter bekannte Bubbles habe ich gar angeboten, dass meine Instanz zu diesem Zweck verfügbar wäre und ich Hilfestellungen beim Einfinden in die neue Umgebung bieten könnte, habe aber kaum oder gar keine Rückmeldungen erhalten.

Fazit

Aus meiner Erfahrung in den letzten 9 Monaten gehe ich davon aus, dass es Vielen nicht wirklich um Argumente geht. Selbst wenn diese zahlreich angeführt wurden, war am Ende doch immer ein unbestimmtes Gefühl ausschlaggebend für die letzte Entscheidung ob ein Netzwerk genutzt wird oder nicht. Vielleicht hilft dieser Beitrag trotzdem dem Einen oder der Anderen die eigenen Argumente zu hinterfragen und so zu einer nachhaltigen Entscheidung zu finden.